Stand: 15.11.2023
© Copyright Roland Fromme
Der Lauf der Dinge
Die wahre Geschichte
Es waren einmal sieben Zwerge, die lebten hinter den sieben Bergen.
Tag für Tag suchten sie im Bergwerk nach Gold. Jeder der Zwerge
war rechtschaffen, fleißig und achtete den Anderen. Wenn einer von
ihnen müde wurde, so ruhte er sich aus, ohne das die Anderen
erzürnten. Wenn es einem von ihnen an etwas mangelte, so gaben die
Anderen bereitwillig und gerne. Abends, wenn das Tagewerk
geschafft war, aßen sie einträchtig ihr Brot und gingen zu Bett. Am
siebten Tage jedoch ruhten sie.
Doch eines Tages meinte einer von ihnen, dass sie so recht nicht
wüssten, wie viel denn geschafft sei und begann, die Goldklumpen zu
zählen, die sie Tag für Tag aus dem Bergwerk schleppten. Und weil er
so mit Zählen beschäftigt war, schufteten die Anderen für ihn mit.
Bald nahm ihn seine neue Arbeit derart in Anspruch, dass er nur noch
zählte und die Hacke für immer beiseite legte. Nach einer Zeit hob ein
Murren an unter den Freunden, die mit Argwohn auf das Treiben des
Siebten schauten. Dieser erschrak und verteidigte sich, das Zählen
sei unerlässlich, so sie denn wissen wollten, welche Leistung sie
vollbracht hatten und begann, den Anderen in allen Einzelheiten davon
zu erzählen. Und weil er nicht erzählen konnte, während die Anderen
hackten und hämmerten, so legten sie alle ihre Schaufeln beiseite und
saßen am Tisch zusammen. So entstand das erste Meeting. Die
anderen Zwerge sahen das feine Papier und die Symbole, aber
schüttelten die Köpfe, weil sie es nicht verstanden.
Es dauerte nicht lange und der Controller (denn so nannte er sich
fortan!) forderte, die Zwerge, die da Tagein, Tagaus schufteten,
mögen ihm ihre Arbeit beweisen, in dem sie ihm Zeugnis auf Papier
ablegten über die Menge Goldes, die sie mit den Loren aus dem Berg
holten. Und weil er nicht verstehen konnte, warum die Menge
schwankte, so berief er einen unter ihnen, die Anderen zu führen,
damit der Lohn recht gleichmäßig ausfiele. Der Führer nannte sich
Manager und legte seine Schaufel nieder.
Nach kurzer Zeit arbeiteten also nur noch Fünf von ihnen, allerdings
mit der Auflage, die Arbeit aller Sieben zu erbringen. Die Stimmung
unter den Zwergen sank, aber was sollten sie tun? Als der Manager
von ihrem Wehklagen hörte, dachte er lange und angestrengt nach
und erfand die Teamarbeit. So sollte jeder von ihnen gemäß seiner
Talente nur einen Teil der Arbeit erledigen und sich spezialisieren.
Aber ach! Das Tagewerk wurde nicht leichter und wenn einer von
ihnen krank wurde, wussten die Anderen weder ein noch aus, weil sie
die Arbeit ihres Nächsten nicht kannten. So entstand der Taylorismus.
Als der Manager sah, dass es schlecht bestellt war um seine
Kollegen, bestellte er einen unter ihnen zum Gruppenführer, damit er
die Anderen ermutigte. So musste der Manager nicht mehr sein
warmes Kaminfeuer verlassen. Leider legte auch der Gruppenführer,
der nunmehr den Takt angab, die Schaufel nieder und traf sich mit
dem Manager öfter und öfter zu Meetings. So arbeiteten nur noch Vier.
Die Stimmung sank und damit alsbald die Fördermenge des Goldes.
Als die Zwerge wütend an seine Bürotür traten, versprach der
Manager Abhilfe und organisierte eine kleine Fahrt mit dem Karren,
damit sich die Zwerge zerstreuten. Damit aber die Menge Goldes nicht
nachließ, fand die Fahrt am Wochenende statt. Und damit die Fahrt
als Geschäftsreise abgesetzt werden konnte, hielt der Manager einen
langen Vortrag, den er in fremdartige Worte kleidete, die er von einem
anderen Manager gehört hatte, der andere Zwerge in einer anderen
Mine befehligte. So wurden die ersten Anglizismen verwendet.
Eines Tages kam er zum offenen Streit. Die Zwerge warfen ihre
kleinen Schaufeln hin und stampften mit ihren kleinen Füßen und
ballten ihre kleinen Fäuste. Der Manager erschrak und versprach den
Zwergen, neue Kollegen anzuwerben, die ihnen helfen sollten. Der
Manager nannte das Outsourcing. Also kamen neue Zwerge, die fremd
waren und nicht recht in die kleine Gemeinde passten. Und weil sie
anders waren, musste auch für diese ein neuer Führer her, der an den
Manager berichtete. So arbeiteten nur noch Drei von ihnen.
Weil jeder von ihnen auf eine andere Art andere Arbeit erledigte und
weil zwei verschiedene Gruppen von Arbeitern zwei verschiedene
Abteilungen nötig werden ließen, die sich untereinander nichts mehr
schenkten, begann, unter den strengen Augen des Controllers, bald
ein reger Handel unter ihnen. So wurden die Kostenstellen geboren.
Jeder sah voller Misstrauen auf die Leistungen des Anderen und hielt
fest, was er besaß. So war ein Knurren unter ihnen, dass stärker und
stärker wurde. Die zwei Zwerge, die noch arbeiteten, erbrachten ihr
Tagewerk mehr schlecht als recht. Als sich die Manager und der
Controller ratlos zeigten, beauftragten sie schließlich einen
Unternehmensberater. Der strich ohne die geringste Ahnung
hochnäsig durch das Bergwerk und erklärte den verdutzten Managern,
die Gründe für die schlechte Leistung sei darin zu suchen, das die
letzten Beiden im Bergwerk verbliebenen Zwerge ihre Schaufeln
falsch hielten. Dann kassierte eine ganze Lore Gold und verschwand
so schnell, wie er erschienen war. Während dessen stellte der
Controller fest, dass die externen Mitarbeiter mehr Kosten
verursachten als Gewinn erbrachten und überdies die Auslastung der
internen Zwerge senkte. Schließlich entließ er sie. Der Führer, der die
externen Mitarbeiter geführt hatte, wurde zweiter Controller.
So arbeitete nur noch ein letzter Zwerg in den Minen. Tja, und der
lernte in seiner kargen Freizeit, die nur noch aus mühsam errungenen
abgebummelten Überstunden bestand, Schneewittchen kennen, die
ganz in der Nähe der Mine ihre Dienste anbot. Dann holte er sich bei
ihr den Siff und verreckte elendig. Die Firma ging pleite, die Manager
und Gruppenführer und Controller aber fanden sich mit großzügigen
Summen gegenseitig ab und verpissten sich, um der Anklage wegen
Untreue zu entgehen, ins Ausland und diese deprimierende, aber
wahrheitsgetreue Märchen ist aus.
Und, was wiedererkannt?